Das erste Album der Popgeschichte, das ausschließlich in fremden Wohnzimmern aufgenommen wurde – eine Reise durch die Wohnwirklichkeit eines Landes.
Q: Warum um alles in der Welt haben Sie ein Album in 13 Wohnzimmern aufgenommen?
A: Ich wollte eine Platte machen, die nicht nach Studioproduktion klingt. Ich wollte Nebengeräusche: schreiende Kinder, umfallende Bierflaschen, plötzlich in die Songs hineinläutende Kirchenglocken. Und ich wollte eine Platte, die Fehler enthält. Ob es nun kleine Verspieler oder Textdreher sind – für mich sind es oft diese kleinen Ecken, die meine persönlichen Lieblingsplatten erst zu solchen gemacht haben. Am Ende haben wir alles noch auf alte Bandmaschinen überspielt. Außerdem wollte ich mal gucken, wie die Leute, die meine Musik hören so wohnen.
13 Wohnzimmer – die Fakten:
– aufgenommen im Frühjahr 2017 in 12 Wohnzimmern in Münster, Bremen, Köln, Aachen, Hamelspringe, Berlin, Hamburg, München, Oberammergau, Lindau, Stuttgart und Sörnewitz.
– Gäste u.a. Maxi Pongratz (Kofelgschroa), Wolfgang Proppe (Erdmöbel), Maria Hafner (Mrs. Zwirbl), Anna Nocon und Philip Bradatsch.
– überspielt auf alte Analogbänder von Lorenz Naumann@Hedgehog Recorders
Das hat auch noch keiner gemacht.
Die ersten drei Monate des Jahres 2017 verbringt Eric Pfeil, Feuilleton-Liebling und Songwriter mit einem „Herz aus Pop“ (taz) damit, seine Gitarre nebst Aufnahme-Equipment in fremde Wohnzimmer zu schleppen, um in jenen das erste Wohnzimmer-Livealbum der Popgeschichte aufzunehmen. Und das, obwohl er eigentlich gar keine Wohnzimmerkonzerte mag.
Begleitet wird Pfeil bei seinem Experiment von seinem Produzenten und einem Kameramann, der den ganzen Irrsinn filmisch festhält.
Ausschließlich neue Songs erleben bei den Aufnahmen ihre Premiere. Doch wie reagiert das Wohnzimmerpublikum auf Pfeils Lieder über Särge, Paardepressionen, den Tod oder nackte Männer? Seine Vorliebe für lo-fi-Homerecording-Alben der frühen 1990er Jahre à la Guided by Voices und die Unkontrollierbarkeit von Aufnahme-Sessions in fremden Wohngemächern sind schließlich ausschlaggebend für diesen Schritt.
Der passionierte Passivraucher Pfeil (Jahrgang 1969), stets stilvoll gekleidet, ist in Sachen Popvortragender ein Spätberufener. „13 Wohnzimmer“ ist erst sein drittes Album. Hat ja auch eine Menge gemacht vorher: Ende des vergangenen Jahrhunderts produziert und schreibt er Fast Forward, die Sendung mit Charlotte Roche, die eine ganze Generation daran glauben lässt, dass Pop im TV doch möglich sei. Nebenbei wird er Vater, schreibt über Pop, egal ob im Spiegel, der FAZ oder als Buchautor. Aktuell gibt er im Poptagebuch des Rolling Stone sein unerschöpfliches Popwissen weiter. Es reicht vom obskuren Sixties Psychodelic, italienischen Exploitationfilmen nebst dazugehörigen Soundtracks bis zu allerlei Wissenswertem aus dem Bob Dylan Universum.
Und es ist kein Zufall, dass im Jahr der Nobelpreisverleihung an Bob Dylan, der Vogel des Jahres der Waldkauz ist. Ein solcher ist auf „13 Wohnzimmer“ zwar nicht zu hören, dafür aber das Klirren von Bierflaschen, Kirchenglockenläuten des Passionsdorfes Oberammergau und die krakeelenden Kinder der Gastgeber. Des Öfteren wird Pfeil selbst zum Gastgeber, wenn nämlich Mitmusikanten das Wohnzimmer füllen, wie etwa Wolfgang Proppe von Erdmöbel, Maria Hafner von Mrs. Zwirbel, Maxi Pongratz von Kofelgschroa oder der Gitarrist Philip Bradatsch. Egal wie hart der Regen niedergehen wird, Pfeil gibt dem Hund seinen Knochen und lehnt sich in jeder seiner dreizehn Nummern gegen das allwöchentliche Versandhauspaket aus Gewissensberuhigung und Selbstoptimierung auf. In Zeiten wie diesen, keine Selbstverständlichkeit.
Im schizophrenen Opener „Zukunft“ freut er sich voller Zweifel auf selbige, schließlich gibt es ja nur ein Leben. Zum Leben gehört nun mal der Tod und so ist der Tod, wie schon auf seinen beiden vorangegangenen Platten auch zu Gast. Egal ob in der surrealistischen Hommage „Zuckergewehr“ an Franco Giraldis Italowestern „Sugar Colt“ von 1966 oder Zwiegespräche mit einem Hund haltend, die Schwermut ist allgegenwärtig und trotzdem lebensbejahend. Wenn er in „Kino“ mit poetischer Wahrheit die Abgründe des Paarseins auslotet, ohne sich dem Zynismus an den Hals zu schmeißen, um mit ihm einen letzten Walzer zu tanzen, ist es tatsächlich großes Kino. Und weil Herr Pfeil als ein Mann des letzten Jahrhunderts weiß, das Kino eben nur im Kino stattfinden kann und nicht bei Netflix & Co auf dem Tablet, überspielt Lorenz Naumann die einzelnen Spuren der Wohnzimmeraufnahmen in seinem Studio auf alte analoge Tonbänder.
Das Ergebnis liegt Ihnen in Technicolor und Stereo vor. Wagen Sie einen Blick in die „13 Wohnzimmer“, manches mag Ihnen seltsam vertraut vorkommen, manches wird Sie befremden, aber eines ganz gewiss nicht, nicht berühren.
Kai Keup
13 Wohnzimmer – Der Film
„13 Wohnzimmer“, das Album mit dem dazugehörigen Film, ist ein gewagtes künstlerisches Projekt, und eine Reise durch die Wohnwirklichkeit eines Landes.
Der Film – eine Momentaufnahme zwischen Melancholie und Hysterie – dokumentiert diese ganz und gar eigensinnige Konzertreise und zeigt einen daseinsskeptischen Songwriter auf dem Schoß der Nation.
Wie beschrieben: Ziel war es keineswegs, irgendeinen Wohnzimmerkonzert-Rekord zu brechen (auch wenn dies möglicherweise nebenbei geschehen ist): Es ging vielmehr darum, NICHT in einem Studio aufzunehmen. Vor Menschen. Es ging darum, Räume hörbar zu machen und sich einer Anspannung auszusetzen. Es ging um ein Album mit Knirscherei, Fehlern, Risiken, Nebengeräuschen, der Anspannung des Moments. Bierflaschen kippeln, Kirchenglocken läuten, Kinder quäken dazwischen.
Und dann kam noch die Neugier auf diese Welt in deutschen Wohnzimmern dazu, auf unbekannte Lebensentwürfe und verschiedenste Wohn-Realitäten.
In oft viel zu engen Wohnzimmern begegneten Eric Pfeil und seinem Team (Soundmann und Kameramann um den Wahnsinn zu dokumentieren) vegane Hipster, die auf dem Land den Kleinfamilienentwurf leben, links-bürgerliche Gutverdiener-Paare, aufgekratzte Party-WGs und alleinstehende Herren mit Vinyl-Fimmel.