DER MENSCH IST GUT, DIE LEUT‘ SIND SCHLECHT
Eine Humorkritik anlässlich seines 125. Geburtstages.
Von Reinhard J. Brembeck
Schwer vorstellbar, dass man damals, im vom Krieg gebeutelten Nazideutschland, mit dem Valentin ins Bett gegangen wäre. So verhungert sah der 60-Jährige aus, dass solch ein Boanderlmantschgerl einen nicht hätte wärmen können in jenen kalten und widerwärtigen Zeiten. Das ist leicht zu begreifen, schaut man sich die zwei Fotos an, die er angeblich 1943 in der „Münchner Feldpost“ publizieren lassen wollte. Blickfang ist die schwarz längsgestreifte Unterhose. Der Rest vom Valentin ist unbekleidet, sieht man von dem aus einer Zeitung gefalteten Hut und den Stiefeln ab. Auf dem einen Bild hält er ein Holzschwert in der Hand und blickt siegesgewiss wie Napoleon, auf dem andern sinkt ihm sein griesgrämig verzogenes Gfries auf die Brust.
Am 4. Juni 1882 wurde Karl Valentin als Sohn eines Tapeziermeisters in München geboren. Leider sieht man da die Nase nicht, die er sich für manche Szenen immer wieder einmal so verlängert hat, als sollte sie seinen hager aufragenden Körper noch um ein paar Zentimeter überragen. Zweifellos hat sich Valentin als Pinocchio gesehen. Schließlich war er wie dessen fiktiver Schöpfer Geppetto ein gelernter Schreiner und hieß mit Vornamen genauso wie dessen realer Schöpfer Carlo Collodi. Aber die Unterschiede sind beträchtlich.
Während sich Pinocchio aus einer Holzpuppe in einen Menschen verwandelt, hat Valentin immer versucht, vom Menschen zur Holzpuppe zu mutieren. Und die lange Nase, die Pinocchio beim Lügen wächst, war für Valentin unabdingbar nötig, um sie a) in alle nur erdenkbaren fremden Angelegenheiten hineinzustecken und um sich b) damit die Menschen vom Leib zu halten. Als die Nazis einen Valentinfilm wegen Elendstendenzen verbieten, machen sie letztlich nur den Valentin nach, der sein Lebtag das Leben gern wegen Elendstendenzen verboten hätte.
„Cogito“ in Reinkultur
Wärme war nie Karl Valentins Stärke. Das legt schon sein Vorname nahe. „Karl“ hat im Bayerischen einen harten, drohenden, fahlen Klang. Diesen Namen aber haben ihm nicht die Eltern ausgesucht, die ihn Valentin Ludwig bevornamten und als Familiennamen ein mattes „Fey“ hinzufügten. Karl hat er sich selbst genannt, wohl erstmals 1902, und die holzschnittartige Härte dieses Namens war ihm immer Programm: So sollten seine Texte daherkommen, so wollte er auch körperlich ausschauen.
Valentins Metier war die Kälte, denn sie war die unabdingbare Voraussetzung sowohl seines Vortragsstils als auch seines Sprachzerhäckselns. In Valentin haust das Descartsche „Cogito“ in Reinkultur. Dieses „Cogito“ schaut ohne Liebe und ohne alle Illusionen auf die Welt, die ihm fremd vorkommt, unverständlich, widersinnig und unlogisch.
Idealismus und Metaphysik
Das stellt er in all seinen Texten einfach nur fest, ohne Hass, ohne Zynismus. Valentin macht kein wie auch immer subjektiv gefärbtes Theater. Er verpflanzt vielmehr den kalt analytischen Ansatz des Naturwissenschaftlers ins Reich der Kunst. Während seine Kollegen die Welt der Käfer, Bakterien und Atome untersuchen und beschreiben, beschreibt und untersucht Valentin im Münchner Alltagsleben Phänomene wie Ehe, Aquarium, Feuerwehrtrompeter, Zahnarztgepflogenheiten, zoologische Gärten und Trinkgewohnheiten.
Seine Forschungsergebnisse trägt er kalt, trocken, indifferent und auf Vollständigkeit erpicht vor. Idealismus und Metaphysik lassen sich da nie entdecken, weil er, wie jeder gute Naturwissenschaftler, seine untersuchten Gegenstände nie als Metaphern oder Symbole begreift, sondern immer nur als absurde Gegenstände. Valentin propagiert keine bessere Welt, er kämpft trotz seiner äußerlichen Ähnlichkeit mit Don Quijote und trotz seiner ausgeprägten Affinität zum Rittertum nie für die Entrechteten und Beleidigten.
Seine Kunst ist nie politisch, weil ihre Denkbewegung sich nie bis in abstrakte Höhen versteigt. Sie scheitert schon immer viel früher, an den Widerwärtigkeiten des Alltags und an den Defekten der Sprache. Deshalb verwendet Valentin Sprache nie dazu, um etwas damit auszudrücken oder um eine Botschaft zu formulieren. Sprache nutzt er nur zur Demonstration, dass sich Sprache als Kommunikationsmittel nicht eignet. Was er an den vertrautesten Worten und einfachsten Floskeln vorführt. Weil Valentin aus diesen Demonstrationen nie Schlüsse zieht, weil er nie den Weg vom Experiment zur Theorie einschlägt, sondern seine Sprachzertrümmerungen wie Meteore auf die Erde fallen lässt, deshalb ist er nie alt geworden. Diese Methode ist aber deshalb nicht zu imitieren, weil sie eine derart indifferent kalte Sicht auf die Welt voraussetzt, wie sie zwar Valentin, aber sonst kein zweiter Künstler aufbringen konnte. Das begreift, wer die Aufnahmen von Valentin mit denen der Bally Prell vergleicht. Auch wenn die beiden körperlich Antipoden sind, stimmlich sind sie sich äußerst ähnlich, was Resonanz, Fülle und Tiefe angeht. Aber Bally Prell überschwemmt ihre Verzweiflung mit Liebe, Kitsch und Erregung, ganz egal ob sie als Schönheitskönigin den Raum ausweitet oder im Weihnachtsspiel als „Rotzbua“ Sprache analytisch zerstösselt.
Zum Schafkopfen in eine Wirtschaft einladen
Leidenschaft und Liebe wird man bei Valentin vergeblich suchen, genauso wenig die Verzweiflung. Als Martin Buber einst aus seiner Bibelübersetzung gelesen hat, gestand ihm eine Frau, dass sie das Jesus-Wort „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ nicht praktizieren könne, da sie sich selbst nicht liebte. Buber änderte die Stelle darauf in „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du“. Diese Szene hätte der Valentin erfinden können. Die Frau wäre natürlich die Liesl Karlstadt gewesen, die immer die Seiten von Valentins Charakter spielen musste, die ganz tief in ihm schlummerten, die sein Wesen ausmachten, die selbst herzuzeigen er sich aber nie getraut hat.
Den Rummel um seinen 125.Geburtstag hätte er nicht gehasst. Wie bei seinem 60. hätte er eine Liste getippt mit den Gratulanten. Da wäre dann natürlich nicht mehr der „Führer“ ganz oben gestanden, sondern der Köhler, die Merkel, der Stoiber und der Söder. Und auch wenn man mit ihm damals nicht ins Bett gegangen wäre, so würde man ihn doch heute noch gerne zum Schafkopfen in eine Wirtschaft einladen.
Kommen würde er bestimmt, sich mit einem gemurmelten „Hobe di Ehre“ setzen und dann – je mehr er verliert, umso mehr – auf den Euro schimpfen. Sieben Biere später würde er dann vom Bieseln nicht mehr zurückkommen. Wahrscheinlich ist er dann, dünn genug war er ja schon immer, zum Klofenster rausgekrochen, da er das endlose Geschwätz seiner Mitspieler einfach nicht mehr ertragen hat.
(SZ vom 4. Juni 2007)
Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung München (www.sueddeutsche.de) und der DIZ München GmbH (www.diz-muenchen.de).