Eine lange Reise, von Anfang der siebziger bis heute in die Unterwelten von Musik und ihrer Möglichkeiten, ging gestern zu Ende. Christian Burchard, Mastermind von Embryo, verbunden mit Trikont seit den Anfängen, hat hunderte Musiker geprägt und beeinflusst. Christian Burchard ist gestern gestorben. Wir sind sehr traurig, aber wir sind sicher, dass seine Musik und sein Spirit weiterleben werden.
Ich kannte Christian Burchard seit Mitte der 70er Jahre. Wir luden ihn mit seiner Band Embryo ein paar Mal zu Gigs nach Balingen ein. Wir schätzten die Musik der Münchner Band, diesen Freerock mit viel Improvisation, außerdem die alternative Philosophie, für die die Gruppe stand, die sich gegen die kommerzielle Plattenindustrie richtete. Als Embryo mit anderen Bands wie Julius Schittenhelm, Ton Steine Scherben, Missus Beastley und Munju das April-Label aus der Taufe hob (Motto: „Musik im Vertrieb der Musiker“), verkauften wir selbstverständlich das ganze Sortiment von April-LPs bei unseren Konzerten in der Balinger Eberthalle. Einmal reiste ich extra nach Saarbrücken zu einem Festival aller Gruppen des April-Labels, das sich damals schon in Schneeball-Records umbenannt hatte. Christian Burchard war natürlich auch da.
Wir verfolgten die Aktivitäten der Schneeball-Gruppen, hörten von der großen Reise, die die Embryo-Kommune Ende der 70er Jahre nach Kalkutta unternahm und sahen uns später den Film darüber im SWF-Fernsehen an. Die Gruppe klang zunehmend orientalischer. 1992 hörte ich Embryo bei einem Konzert im Tübingen Sudhaus, dabei auch Amon Düül-Gitarrist Chris Karrer, der Oud spielte. Ich machte ein längeres Interview für die Taz mit den beiden, was ich so spannend fand, dass ich von da ab weiter über den deutschen Underground recherchierte.
Zum 40jährigen Jubiläum von Embryo bat mich das Trikont-Label bei einer Doppel-CD mitzuhelfen, die die ganze Karriere der Band dokumentieren sollte. Christian Burchard schickte mir eine selbstgebrannte CD nach der anderen mit unveröffentlichten Aufnahmen aus seinem umfangreichen Archiv. Ich traf eine kohärente Auswahl, die seine Zustimmung fand. Ich glaube, „Embryo 40“ ist ein ganz passables Doppelalbum geworden. Seither hatte ich bei Christian einen Stein im Brett. Er schickte mir Neuveröffentlichungen, informierte mich über die Aktivitäten der Band und andere Dinge.
Ich traf Christian Burchard über die Jahre immer wieder, um ein Interview mit ihm zu machen oder auch nur auf einen Kaffee, gelegentlich bei Trikont, wo er den Fotokopierer benutzte, um seinen collagenhaften Konzertankündigungsflyer zu fabrizieren.
Als ich das Buch „Klang der Revolte“ in Angriff nahm, unterstützte er mich mit allen Kräften, schickte CDs voller historischer Embryo-Fotos und anderes Material. Nach der Buchveröffentlichung absolvierte Christian, Roman Bunka und ich zwei Auftritte in Ostdeutschland zum Thema, wobei die beiden Embryos eine famose Musik zu meinen Ausführungen improvisierten. Christian war damals äußerst hager, ernährte sich wegen einer Zuckererkrankung äußerst vorsichtig und aß nicht arg viel. Doch auf seinem zerbeulten Vibrafon spielte er wie der Teufel.
Dann hörte ich von seinem Schlaganfall vor 1 ½ Jahren auf einer Embryo-Tour im Süden. Ich hoffte, dass er wieder zu Kräften kommen würde. Doch am Telefon wurde mir bewußt, wie schwer angeschlagen er war. Als ich letzten Sommer ein paar Wochen in der Nähe von München verbrachte, besuchte ich ihn ein paar Mal. Er lag in einem speziellen Krankenbett, war sehr schwach und schnell erschöpft. Das Sprechen fiel im schwer und mir das Verstehen. Aber geistig schien er völlig präsent zu sein. Jazz war die Begleitmusik zu seiner Krankheit. Er lag im Bett und hörte den ganzen Tag Sonny Rollins, Dizzy Gillespie oder wen auch immer. Im Sonderangebotskiste bei „Radio Beck“ in München fiel mir eine CD des amerikanischen Saxofonisten Monty Waters in die Hände, der zeitweise in München gewohnt hatte und den Christian sehr schätzte. Ich kaufte sie ihm und er legte sie gleich auf. Er mochte diese lose Improvisationsmusik.
Letzten Herbst haben wir dann noch ein Embryo-Konzert im Atelier von Manuel Wagner (meinem Neffen) und David Späht in Stuttgart organisiert, was wunderbar verlief. Natürlich war Christian krankheitshalber nicht dabei, aber seine Tochter Marja führte die Band ausgesprochen kompetent und ganz im Sinne ihres Vaters – die Musik war exzellent!
Heute morgen erreicht mich die Nachricht, dass Christian Burchard gestern, am 17. Januar 2018 nachmittags, 71jährig in München verstorben ist. Seine Frau Eva und seine Tochter Marja waren bei ihm, Abbey Lincoln sang aus dem CD-Spieler. Mit einem schwungvollen, ja fast immer etwas gehetzt wirkenden „ciao, ciao“ pflegte sich Christian normalerweise am Telefon zu verabschieden. Ciao, ciao, Christian! Christoph Wagner