Ich bin, genau wie mein Freund und Kollege Wladimir Kaminer, in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen. Schon als Kleinkinder wurden wir regelmäßig mit der glorreichen Geschichte unseres Landes konfrontiert – während die Kinder in anderen Ländern über kleine Häschen, Weihnachten und Nikolaus sangen, ging es in unseren Kitas auch musikalisch um den roten Oktober, den 1. Mai und den harten Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus. Über die Botschaft dieser Lieder mag man heute streiten, die Musik allerdings war fast immer ziemlich gut. Die Skeptiker, wie mein Opa zum Beispiel, behaupteten, dass die Melodien all dieser Lieder gnadenlos von den Klezmer-Klassikern geklaut wurden – kann sein, ändert aber nichts an der musikalischen Qualität dieser Songs.
Mickey Mouse und Elvis kannten wir nicht, dafür den Lenin und „Die Singenden Gitarren“. „Tutti Frutti“ konnte man in unserem Radio nicht hören, aber „Unsere Adresse ist Sowjetunion“ und das war mindestens genauso cool. Mit den Amerikanern und ihrer Musik hatten wir so unsere Probleme, unsere besten Freunde waren nicht nur musikalisch die Kubaner.
Dementsprechend entwickelte sich unser Musikgeschmack. Und auch viel später, nachdem wir Led Zeppelin, Sex Pistols und Nirvana entdeckten, die Liebe zu der Musik unserer Kindheit hatte einen großen Platz in unserem Herzen. Genau so ging es auch den Musikern, die wir so gern in der Russendisko auflegen – sie sind nämlich die Opfer der gleichen Musik- und Informationsdiät. Und die Spuren davon findet man heute noch in ihren Songs, auch wenn es oft nicht direkt um Politik geht.
Kaminer und ich bereisten die Welt als DJs, legten überall osteuropäische Mucke auf, und lernten dabei neue Bands und Sounds kennen. Dabei haben wir festgestellt, dass es fast überall Musik gibt, die unserer sehr ähnlich ist – und interessanterweise hat sie oft auch politische Botschaften. Nicht „Please, Please Me“, nicht „Let’s Spend The Night Together“, sondern „Hasta Siempre, Comandante“ und „Ritmo di Protesta“!
Leidenschaft, Romantik, Idealismus und der unerschütterliche Glaube, dass ein Song das Leben der Menschen verändern kann – das motiviert die Musiker auf dieser CD, egal woher sie kommen und welche Lieder sie in ihrer Kita gesungen haben!
Deshalb lege ich bei meinen DJ-Sets immer öfter Lieder auf, die mit Osteuropa nichts zu tun haben, aber das Russendisko-Repertoire perfekt ergänzen.
„Was ist das für ein Sound? Wo kommt er her?“, – fragen mich manchmal Menschen aus dem Publikum. „Das ist die Revolution Disco, Baby, – antworte ich, – es ist Zeit für die Revolution Disco!“
– Yuriy Gurzhy
Die Musikgeschichte ist eine Geschichte des Widerstandes gegen die Unterdrückung und die Sklaverei. Nirgendwo singt man aus Freude am Leben, nur im deutschen Musikantenstadel vielleicht, wenn die Bürger zu viel Bier getrunken haben. Die beste Musik aber entsteht aus der Not, sie fordert die Menschen zum Protest auf, bringt sie auf die Strasse, verschafft jedem Gehör. Man denke nur an die schwarzen Sklaven in Amerika, die Rock’n’Roll schufen oder die Juden und die Zigeuner die die europäische Musik stark beeinflussten. Man denke an die Russen, die schon immer unterdrückt worden waren und deswegen so viele Lieder auswendig können. Die Russen, wenn sie zusammen kommen, selbst wenn sie einander nicht kennen können Stunden lang zusammen singen und immer kennen alle den Text. Die Deutschen waren auch lange Zeit unterdrückt und hätten davon ein langes Lied singen können, haben aber nach 1945 alle Texte vergessen. Die Regel bleibt: je stärker die Menschen unterdrückt werden umso lauter, umso revolutionärer singen sie. Heute hat die Musik durch zunehmende Kommerzialisierung ihr revolutionäres Potenzial eingebüßt. Wir müssen ihr mit der RevolutionDisco auf die Sprünge helfen.
– Wladimir Kaminer
Globalisierung hat ja ihre Vorteile. Der Widerstand gegen die Schweinereien ist auch international vernetzt. Und die Szene hat gute Laune. Die „Russendisko“-Macher Wladimir Kaminer und Yuri Gurzhy liefern mit „Revolution Disco“ den Sound für den antikapitalistischen Dancefloor – von Reggae bis Moldawienpunk. Volle Punktzahl für das Yiddis Twist Orchestra. Die haben einen hoppelnden Sound mit Surfgitarre und Blech und spielen das einzig wahre Lied zum Kampf: „Die Internationale“. Völker hört die Signale…“ -Abendzeitung