Rap-Pionier Gil Scott-Heron, einer der einflussreichsten Poeten und Musiker Amerikas, ist mit 62 Jahren gestorben
Gil Scott-Herons Album „I’m New Here“ aus dem letzten Jahr enthält als zentrales Motiv das Zitat eines alten Bluessongs: „Me And The Devil“. Vier Jahrzehnte lang hatte der Großstadt-Griot in den bedrohlichen Abyssus der amerikanischen Gesellschaft geschaut, Gedichte von gleißender Schönheit und der Schärfe von Rasierklingen vorgetragen. Und am Ende forderte der Teufel seinen Preis.
Die sozialen Übel, die er so hellsichtig sezierte, fielen auf Gil Scott-Heron zurück. Fraßen ihn von innen auf. Seine ihn in den letzten Jahrzehnten dominierende Kokainsucht, mehrere Gefängnisaufenthalte wegen Drogenbesitzes und eine HIV-Erkrankung ließen den schlaksigen Sänger mit dem volltönenden, fatalistischen Bariton bei seiner Europa-Tournee 2010 nur noch als Schatten seiner selbst erscheinen. Sein großartiges, auf düsteren Dub-Beats rollendes Comebackalbum sollte auch sein letztes sein. Der 62-jährige Rap-Pionier, der seit den siebziger Jahren als einer der einflussreichsten Poeten und Musiker Amerikas gilt, erlag vergangenen Freitag in seiner Heimatstadt New York einer Infektion.
Es gehörte zu den Widersprüchen von Gil Scott-Herons Leben, dass er in der Popwelt ikonisch verehrt, zitiert, und von Hip-Hop-Jüngern wie Kanye West gesamplet wurde – menschlich allerdings in der zweiten Hälfte seiner Karriere eine eher bemitleidenswerte Figur abgab: ausgemergelt vom Drogenmissbrauch. Zu erschöpft, um noch einmal die Höhen solch phantastischer Songs wie „Angel Dust“ oder „Who’ll Pay Reparations On My Soul?“ zu erklimmen.
Und doch schwebt Scott-Heron als Geist über jedem informierten Hip-Hop-Song, jeder komplexen Neo-Soul-Ballade, jedem Polit-Hipstertum der letzten Jahrzehnte. Sein Kollege Kalamu ya Salaam bezeichnete ihn einmal als „Verkörperung der Post-Bürgerrechtsbewegungs-Erfahrung der Afroamerikaner“. Musste da seine Tragödie wirklich erstaunen?
Wer „Home Is Where The Hatred Is“ so überzeugend singt wie Gil Scott-Heron, der hatte mehr gesehen, als er sehen wollte. Dem steckte der „Winter in America“ tief in den Knochen. Auf seinem letzten, nach 16 Jahren des Abtauchens in Drogenhöhlen und Knastzellen kaum noch erwarteten Album hat der Poet diese dunkle Seite seines Landes noch einmal auf den Punkt gebracht: „You can’t name a place where I ain’t been down / cause there ain’t no place I ain’t been down“. Und doch stand der resignierten Wut und der coolen Kommentierung des gesellschaftlichen Untergangs immer auch eine Hoffnung zur Seite.
Die Jugend des 1949 in Chicago geborenen Gil ist von der Fürsorge seiner Großmutter Lillie geprägt. Nachdem sich die Eltern, eine Sängerin und ein Fußball-Profi, trennen, wächst er bei der Oma in Tennessee auf. „Von ihr lernte ich“, sollte der Dichter später erklären, „die Wahrheit im eigenen Herzen zu finden – und sie auszusprechen“. Seine Großmutter führt Gil auch an die Dichtung von Langston Hughes heran und kauft dem Enkel für sechs Dollar ein Klavier. Als Lillie stirbt, zieht Scott-Heron zur Mutter in die Bronx. Durch Empfehlung einer seiner Lehrer kommt der literaturbegeisterte Schüler an die renommierte Fieldston School, später studiert er an der Lincoln University in Pennsylvania, und schreibt zwei Romane: „The Vulture“ und „The Nigger Factory“. Mit seinem Kommilitonen und musikalischen Partner Brian Jackson veröffentlicht er von 1974 an eine Reihe von Alben, die afrikanische Perkussion, Latin Funk und fließende Improvisationen auf dem Fender-Rhodes-Piano zu einer Avantgarde-Musik mischen, die zwei Jahrzehnte später Pate für die Acid-Jazz-Bewegung stehen sollte. Selbst Gil Scott-Herons Wut schillert hier in vielen Farben: mal traurig, mal spöttelnd, mal euphorisch. Mit ganzer Seele kämpfend animiert die Disco-Nummer „The Bottle“ zum Tanzen, während der Sänger vor den Gefahren des Alkoholismus warnt. Dann wieder macht er – „What’s the word? Johannesburg!“ – das politische Tabuthema Südafrika zum Sommerhit. Oder schreibt 1977 nach einer Beinahe-Kernschmelze auf Three Miles-Island eine funkgetriebene Anti-Atom-Hymne: „We Almost Lost Detroit“. Protest ist ein zu schales Wort für Scott-Herons Songs. „Lady Day And John Coltrane“ und „I Think I’ll Call It Morning“ swingen mit einem zärtlichen Optimismus, dem selbst die Ungerechtigkeiten des Nixon- und Reagan-Amerika nichts anhaben können.
Gil Scott-Herons bekanntester und von der Popkultur meist zitierter Song allerdings erscheint bereits auf seinem 1970er Debüt „Small Talk At 125th and Lenox“: „The Revolution Will Not Be Televised“. Oft wurde er als Kritik an den Massenmedien und der Konsumhaltung seiner amerikanischen Mitbürger verstanden. Er selbst hat ihn als Aufruf zur Selbstbesinnung gedeutet: „Du musst erst eine Revolution in deinem Kopf vollbringen, bevor du etwas auf der Straße bewegen kannst.“ Der Soulpoet kritisierte seine Hip-Hop-Jünger, sie würden sich auf Posen beschränken, statt die Zuhörer „in sich hineinschauen zu lassen“.
Mit dem Titel „Godfather of Rap“ konnte sich Scott-Heron nie anfreunden. Er selbst nannte seine Musik „Bluesology“. In dem Song „Message To The Messengers“ forderte er die Rapper auf, wieder „die Selbstliebe und den Selbstrespekt in den Mittelpunkt zu stellen“. Ironie des Schicksals, dass gerade mit seinem letzten Album Scott-Herons entschieden erwachsene Popmusik anfing, weitere Kreise denn je zu ziehen. Am Ende hinterlässt Gil Scott-Heron uns nicht nur seine als Mischung aus „Mahagoni, Sonnenschein und Tränen“ beschriebene Stimme. Sondern auch die Erkenntnis, dass die Größe Afroamerikas immer darin lag, aus den dunkelsten Abgründen die wunderbarste Dichtung hervorzubringen. JONATHAN FISCHER
Gil Scott-Heron auf den von Jonathan Fischer zusammengestellten Compilations „Black & Proud“
B & P I: “The Revolution Will Not Be Televised”
B & P II: “Who’ll Pay Reparations On My Soul” & “Lady Day And John Coltrane”