“Die Arbeit ist erledigt oder die Dramatik hat auf meine Kopfhörer geschlagen”
Zusammengestellt von Axel Knapp / Detlev Michelers / Werner Sünkenberg (Radio Bremen), veröffentlicht im Oktober 1978 bei Trikont-Unsere Stimme. Aus 8 Stunden Mitschnitten von Nachrichten, Reportagen, Durchsagen und Korrespondentenberichten wurden die Ereignisse und Hintergründe zusammengeschnitten zu einer Schallplatte mit 55 Minuten Länge. Es dauerte vom 7.September bis zum 19.Oktober 1977.
“Ein Meilenstein auf dem Gebiet der dokumentarischen Schallplatte” – sozusagen ein Podcast vor seiner Erfindung.Während des ganzen Deutschen Herbstes 1977 war die Person Hans Martin Schleyer nicht existent. Er war auf eine Wertgröße zusammengeschrumpft: für die einen als Pfand für die allerdings sehr konkrete Freiheit der Gefangenen der RAF, für die anderen als Preis für die nicht minder konkrete Ordnung der Herrschaft. Erst angesichts seiner sterblichen Hülle wurden zumindest die Hüllen seiner gesellschaftlichen Existenz öffentlich gemacht: Seine Geschichte als SS-Scherge und sein Wirken in der Besatzung im Osten. Und seine Kontinuität als “Boss der Bosse” in der Nachkriegszeit .
“Was wäre geschehen, wenn die Entführer die Person Schleyer freigelassen hätten! Befangen in der Imitation der von Ihnen angegriffenen Macht, hatten sie diese Größe nicht. Sie haben die Unperson zurückgegeben, indem sie die Person vernichteten. Sie haben ihre Niederlage selbst vollstreckt” (Zeitschrift Autonomie).
Die Erschütterung über die Militarisierung des Widerstands war überall, die zunehmende Verzweiflung hinter dem wahnhaften Tun einer ‘Roten Armee’ (!) lag offen. Der Chef des BKA Herold sagte später:
“Terrorismusbekämpfung muss auch bedeuten, unter der Oberfläche des Vordergründigen dem Terrorismus die Schubkräfte und Anreize zu nehmen, die ihn auslösen oder begleiten.”
Aber: Zwei Jahre zuvor hatte einer aus dem eher anarchistischen Untergrund, der ‘Bewegung 2. Juni’, aus der Illegalität heraus einen sehr persönlichen Erfahrungsbericht über den ‘bewaffneten Kampf’ geschrieben: “Bommi Baumann – Wie Alles Anfing”. Ein junger Berliner erzählte die Geschichte seiner Radikalisierung und zog daraus den Schluss, dass die zunehmende, zwangsmäßige Militarisierung des Untergrunds das Gegenteil von dem wurde, was sie sich erhofft hatten. Das Buch, das daraus entstand und bei Trikont erschien, war zuallererst an seine Freunde aus der Bewegung gerichtet:
“Freunde, werft die Knarren weg!”
Das Gerücht über die geplante Veröffentlichung verbreitete sich in den Bewegungen und vor allem dem Umfeld der RAF und Trikont bekam einen Haufen Besuch, der uns das Projekt auszureden versuchte. Aber wir wussten aus eigenen Erfahrungen, wie wichtig das Buch war. Der Herbst 77 wurde dafür die fürchterliche Bestätigung.
Das Buch wurde sofort in einer großen Staatsaktion verboten und beschlagnahmt, der Verlag wurde in langen Prozessen bedroht. Auch die Herrschaften aus der Herrschaft brauchten offensichtlich noch schlimmere Erfahrungen.
Aber die Reaktion kam aus der Zivilgesellschaft. Über 300 Leute, darunter Bekannte wie Böll, Enzensberger und viele andere wollten eine Diskussion über das Verbote des Buches. Sie gaben gemeinsam mit dem Trikont eine illegale Neu-Auflage von “Wie Alles Anfing” heraus. Spätestens zwei Jahre später wussten wir wie fürchterlich vorausgeahnte Wahrheiten sein können.
Achim Bergmann