„Im aktuellen IN-München, findet sich ein Interview mit sehr unvorteilhaftem Foto und zweifelhaften Aussagen beider Institutsleiter.“
Ortsgespräch: Café Unterzucker
„Es ist so angenehm uncool“
Die Welt wäre schön, wenn sie ein Kaffeehaus wäre. Ein ganz besonders schönes ist das Café Sonnenschein in Obergiesing, das zweite Zuhause von Tobi Weber und Richard Oehmann. Der Theatermusiker und der „Doctor Döblinger“-Kasperl-Co-Intendant, den alle Kinder und ihre aufgeschlossenen Eltern der Stadt kennen müssten, toben sich mit ihrem rotzfrechen Café Unterzucker-Projekt regelmäßig aus. Nach viel Kritikerlob für die erste „Leiser!“-CD ist nun bei Trikont das zweite Meisterwerk mit „Liedgut für die humorbegabte Familie“ entstanden. „Bitte, Mammi, hol mich ab!“ hört sich genauso tiefenentspannt an wie das „Sommerschwein“ aus dem gleichnamigen Song. Und bohrt sich genauso unerbittlich ins Ohr wie die bairisch-italienische „Felicita“-Neueinstudierung „Gibst ma du Baci, mach i an Datschi vor Gluckseligkeit“. Dargeboten natürlich von Jimi Tero, dem grandios schlitzohrigen Oehmann-Eisdealer aus „Kasperl und das Kugeleis“.
Ihr spielt ja beide in anderen Zusammenhängen in unterschiedlichen Formationen und Bands. Was ist nun das härtere Publikum – die Erwachsenen oder die Kinder?
Tobi Weber: Härter sind die Kinder nicht. Aber sie steigen schneller aus, wenn es ihnen mal langweilig werden sollte. Erwachsene sind ja viel erzogener. Die wissen halt, dass es höflich ist, wenn man bei Konzerten danach klatscht. Kinder klatschen, wenn es ihnen gefällt. Und zeigen das völlig ungebremst, wenn sie was lustig finden.
Richard Oehmann: Es gibt das Klischee, dass Kinder angeblich das härteste Publikum sind. Und es gibt andere, die es sich beim jungen Publikum ganz einfach machen. Es ist weder besonders leicht noch extrem schwierig. Man könnte es sehr leicht haben …
… wenn man „Pipi/Kacka“ sagt.
Oehmann: Ja! Gerade bei den Kleineren kann man einen Gag hundert Mal wiederholen. Ihnen wird’s nicht – uns selber würd’s langweilig werden.
Ein Publikum – unverbildet. Und mit der Bereitschaft, richtig mitzugehen.
Weber: Als ich früher mit Piano Possible auftrat, war das schon ganz anders und recht steif. Hier die Neue Musik, jetzt das Kinderkonzert im Milla. Beides macht großen Spaß. Aber lustiger ist’s im Milla. Tut mir gut.
Die Freude am Anarchischen dürfte Euch entgegenkommen – wenn Ihr die Kinder zum wilden Mitmachen auffordert.
Oehmann: Wenn alle lautstark mitziehen und wir sie auf der Bühne hören, ist das großartig. Am bestens ist’s, wenn wir unsere Konzerte fast akustisch spielen – etwa in einer Buchhandlung. Wenn wir mit der Band anrücken, hat das natürlich auch einen Schauwert. Selbst die Vierjährigen bleiben hocken, staunen uns an und schauen, was passiert. Greulix schaut ja auch wirklich aus wie so ein Schlagzeug-Viech.
Wie aus der „Muppet Show“.
Oehmann: Der haut rein, der schneidet Grimassen beim Spielen. So was ist einfach toll zum Anschauen.
Und wenn alle paar Minuten einer aufs Klo losrennt? Und es vielleicht sogar mal ein bissl strenger riecht im Saal.
Weber: (lacht) Das geht uns ja nichts an. Dafür sind die Eltern dabei.
Oehmann: Sehr richtig. Arbeitsteilung ist das wichtigste.
Wenn Ihr die Uhren noch einmal ein bisschen zurückdreht: Wie macht man sich denn an das Projekt einer frechen Kinderlieder-CD?
Oehmann: Die Formation hat sich zufällig so ergeben – mit den drei Musikern Tobi am Banjo, Micha Acher mit der Tuba und Greulix Schrank am Schlagzeug. Wir hatten uns für die Doctor-Döblinger-„Xingel-Xangel“-CD damals so zusammengefunden. Es hat nicht lange gedauert, bis wir feststellten, dass das eine schöne Formation ist – und wir weitermachen wollen. Es sind halt auch Wahnsinns-Musiker. Das ist für mich als Musik-Laien hervorragend. Ich kann mir was ausdenken – und dann kommen die Herren Weber, Acher und Schrank daher und spielen das einfach. Da kannst du dich reinsetzen. Später haben wir noch ein paar Lieder für mein Kinderbuch „Wolfi, der Musketier“ gemacht. Und plötzlich brauchen wir einen Namen.
Was hat es für eine Bewandtnis mit dem „Café Unterzucker“?
Oehmann: Ich hatte immer gedacht, man müsste mal ein Kaffeehaus so nennen. Eigens eines dafür gründen, wollte ich aber nicht.
Aber nicht „Unterzucker“ weil alle so zappelig sind?
Oehmann: Vielleicht auch das. Aber hauptsächlich, weil wir weniger Zucker reintun. Ich hab schon als Kind den Kitsch nicht gemocht – in der Kinderkultur.
Also auch „Unter-Rolf-Zuckowski-Zucker“?
Oehmann: Keine schlechte Idee. Daran haben wir noch gar nicht gedacht. Auf ihn war’s nicht bezogen.
Weber: Der Name stand halt plötzlich so im Raum. Mir hat beim Schreiben von Musik immer schon die Idee gefallen, wenn man so ein kleines Café im Viertel hätte, wo alle Nachbarn zusammenkommen. Auch schon bei der ersten Platte habe ich mir immer gedacht: Was wohnen da eigentlich für Menschen? Wie klingen die? Auf einmal ist so ein kleiner Kosmos von selbst entstanden. Sehr inspirierend. Der Café-Gedanke ist toll, weil eine sehr zufällige Logik und keine geplante dahintersteckt.
Oehmann: Im Café können auch Geschichten herumschwirren, die ich mir ausgedacht und dann nie zu Ende geschrieben habe. Die Kaffeehaus-Idee hatte ich schon länger. Aber da ging’s eher um Insekten, die neben einem Kaffeehaus wohnen. Dann habe ich ein Heizungsmärchen geschrieben, das demnächst als Vorlesegeschichte im BR kommt…
Weber: … unterlegt mit Musik von Café Unterzucker natürlich.
Oehmann: Dort ist unter anderem der „Ahnfried“ dabei, den wir bei der ersten CD aufgenommen hatten. Manchmal bringen wir ineinander verwobene Geschichten mit ins Café. Dann wieder ist es plötzlich die Idee vom „Sommerschwein“.
Bei Doctor Döblinger spielt die Musik von jeher eine große Rolle. Ist das „Café Unterzucker“ auch ein Ventil, um sich gelegentlich mal von der doch etwas limitierenden Form zu lösen und einfach so Gas zu geben?
Oehmann: Na klar. Ich kann auch mal ein Lied ohne Kasperl-Bezug schreiben – etwa das Lied vom „Sommerschwein“. Wenn’s eine Kasperl-Geschichte wäre, müsste ich mir irgendeinen sinnvollen Grund ausdenken, dass in der Handlung auch das Sommerschwein Platz findet. Jetzt kann ich das in einem Drei-Minuten-Song abhandeln – und muss mir keinen kompletten Kosmos ausdenken.
Es wird keine Sommerschwein-Saga geben?
Oehmann: (lacht) Ich glaube nicht – dafür ist es auch viel zu faul.
Weber: Das Gute ist auch, dass ich nicht gleich eine große Geschichte im Kopf haben muss, wenn so ein „Sommerschwein“-Text kommt. Da kann ich auch einfach mal ein Lied schreiben, das nicht gleich in die große Form passen muss. Das nächste klingt dann komplett anders. Super so.
Oehmann: Ich mag einfach gerne – bei Kinder-Geschichten, aber auch bei Erwachsenen-Filmen -, wenn man sich selber was dazudenken kann. Zuletzt hatten wir eben das Lied vom Ahnfried. Dann ist das halt ein blöder Nachbar, der nervt. Man könnte sich auch eine Geschichte mit dem Ahnfried ausdenken. Hab ich auch schon. Aber die Kinder kennen bislang bloß dieses Lied. Den Rest können sie sich überlegen.
Aber den Ahnfried gibt’s wirklich – bei Euch in der Nachbarschaft?
Oehmann: (lacht) Und wie. Der wohnt um die Ecke. Die erste CD war die Nachbarschafts-CD. Dann sind wir sehr viel auf Sommer- und Reise-Lieder gekommen.
Weber: Es war halt auch der Sommer im letzten Jahr, der uns inspiriert hat. Warm, heiß oder auch nicht – und es passieren halt lustige Sachen. Auf einmal sitzen wir im Wohnzimmer und denken uns an Autoraststätten hin. Plötzlich war der Song „Autogrill – Wann samma denn do?“ da. Auf einmal kamen die Mandolinen dazu. Und der Barista-Chor im Hintergrund. Alle singen Oper. So puzzelt man sich von einem Ding zum nächsten. So entstehen unsere meisten Songs.
Oehmann: (lacht) Wir haben versucht, die italienische Autobahn mit der italienischen Oper zu vereinen.
Vom Sofa aus.
Weber: Es war eben eher die Karl-May-Variante.
Die Situation ist aber sicher wohl vertraut, dass hinten im Auto jemand immer genervter fragt: Wann samma denn do?
Oehmann: Ja. Leider. Ich bin als Kind aber nur ein oder zwei Mal so richtig lang Auto gefahren.
Weber: Ich fand das immer super. Meistens wäre ich früher am liebsten noch weiter gefahren. Bei uns ging’s allerdings nach Kroatien. Damals gab’s natürlich die Autobahn noch nicht, wir mussten über den Wurzenpass fahren. Großartig. Wenn’s nach mir gegangen wäre, wären wir am liebsten noch bis Kuala Lumpur weitergefahren.
Sicher ein Song, bei dem die Kinder gut anknüpfen können.
Oehmann: Natürlich. Ich weiß aber nicht, ob alle Kinder wissen, was der Autogrill ist. Man muss auch Sachen bringen, die den Kindern nicht vertraut sind. Weil sie sonst keine Fragen stellen, sich nicht kümmern und nichts wissen wollen.
Weber: Wir sind nun mal auch keine Kinder. Da beschäftigt man sich gerne mit Sachen, die einen selbst interessieren. Den Autogrill nicht reinzunehmen, weil die Kinder möglicherweise nicht verstehen, was damit gemeint ist, wäre für uns ein absurder Gedanke.
Das müssen doch auch die besonders schönen Doctor-Döblinger-Momente sein – wenn die Eltern dreckig lachen an der einen Stelle und ihre Kinder an einer ganz anderen.
Oehmann: Ich weiß nicht, ob sie dreckig lachen. Aber ja, manchmal schon.
Zwei Anspielungsebenen braucht es schon, oder?
Oehmann: Der Witz ist: Man macht’s für sich selber. Und zwar so, dass man’s lustig findet. Beim Stück ist das absolut entscheidend, weil man es mindestens 100.000 Mal spielt. Wenn ich es blöd fände, wäre das unerträglich. Beim Musik-Stück ist es auch so. Wir spielen die Songs, weil wir sie mögen – und weil wir sie gerne singen. Trotzdem schauen wir schon, dass die Kinder bei 90 Prozent der Lieder einigermaßen verstehen, worum es geht. Wenn wir’s lustig finden, finden es vielleicht auch die anderen lustig.
Juckt es Dich manchmal, beim Café Unterzucker noch stärker auch das Schauspielern auszuleben, was beim Döblinger-Spielen gar nicht geht, weil man dich nicht sieht? Deine Verwandlung in den Italo-Eis-Dandlers Jimmy Tero auf offener Unterzucker-Bühne etwa?
Oehmann: Eigentlich hätte ich mich sogar verkleiden müssen. Das mache ich gar nicht so gern. Ich singe ganz gern. Aber ich muss mich jetzt nicht in Schale werfen. Auch bei den Kasperl-CDs sind es ja immer Rollen, in die ich schlüpfe – mal baierische, mal nicht-baierische. Manchmal weiß ich gar nicht so genau, wo meine eigene Stimme ist.
Weber: Auf der ersten CD habe ich mit dem „Mond“-Lied einen echten Favoriten, den man manchmal fast überhört. Das habe ich geschrieben, als wirklich der Mond so schön schien. Dazu passt Richards echte Stimme ziemlich gut. Das war gar kein Geblödel, sondern man singt einfach ein schönes Lied. Ein Killer-Moment – auch wenn nicht alle „Wow“ schreien und lachen. Es ist einfach hübsch.
Oehmann: Mein Neffe mag’s. Gott sei Dank.
Weber: (lacht) Wenigstens einer. Mit mir sind wir schon zu zweit. Ernsthaftigkeit ist schon auch wichtig und muss einfach möglich sein.
Man sieht ja, dass kein Blatt Papier zwischen Euch passt. Aber sind im Formungsprozess nicht auch mal zwei Welten aufeinandergeprallt – der Musiker durch und durch auf der einen und der hobbymusikalische Schreiber auf der anderen?
Oehmann: Meistens ist das ja was Gutes. Beim „Autogrill“ hatte ich an Swing gedacht. Dann ist es ein Tarantella-Blasmusik-Stück geworden. Beim „Sonnenbrand“ hatte ich nicht nur einen Text, sondern auch eine Musik-Idee. Dann hat der Weber sie komponieren – und ich die erste Idee – wieder vergessen müssen.
Weber: Das war bei uns schon zu Urzeiten so. Richard denkt immer in Chuck-Berry-Songs. Metrisch betrachtet. Irgendwann verrät er mir nicht mehr, was sein Ursprungssong war. Bei der ersten CD waren wir alle auf dem Dixie-Trip, was vor allem an Micha lag.
Oehmann: Micha Acher steht total auf Dixie – und bringt ihn bei so vielen Formationen wie möglich irgendwie unter. Die Klassiker sind einfach schön – warum also nicht?
Weber: Das Café Unterzucker ist so angenehm uncool. Das gibt uns unendliche Freiheiten. Ich bin so entspannt beim Schreiben wie sonst selten. Ich denke echt nur an das Lied – und nicht an irgendwelche Leute, die das dann aufregend finden müssen. Es muss einmal nicht der stilistische Wahnsinn und die Musik von übermorgen sein.
Oehmann: Den Text für „Endlich! Die Ferien sind vorbei“ hatte ich schon länger fertig, wusste aber nicht so recht, was wir damit anfangen sollten. Dann haben wir uns auf YouTube plötzlich ganz viele alte Videos mit Trini Lopez …
Weber: … und den Gypsy Kings …
Oehmann: … angesehen. Das war die Initialzündung für den späteren Song. Ein blödes Latin-Pop-Lagerfeuer-Lied, das laut „Hurra“ schreit, dass die Ferien jetzt endlich vorbei sind.
Kein Lied, mit dem man sich inhaltlich an die Kinder ranschmeißt.
Oehmann: Wie gesagt, man darf’s nicht zu sehr zuckern.
Wie strategisch habt Ihr eigentlich gedacht, als Ihr das Titel-Lied „Bitte, Mammi, hol mich ab!“ über einen schnöseligen Jungen zum Titel-Song gemacht habt? Damit Ihr immer öfter in betuchten Kreisen, die sich ein Unterzucker-Orchester leisten kann, für Kinderfeste gebucht werdet?
Oehmann: Gute Idee eigentlich! Das Lied war mir eine Herzensangelegenheit, weil ich jahrelang in einem Kinderzeltlager gearbeitet hatte. Man müsste mal ein Lied schreiben über ein Kind, das unbedingt abgeholt werden möchte.
Gibt’s solche Kinder wirklich, denen es dort zu wenig luxuriös ist?
Oehmann: Es bezieht sich konkret auf einen 13- oder 14-Jährigen, der tatsächlich aus Starnberg war und der zu mir sagte: „Ich könnte jetzt in unserem Haus in Kitzbühl sein“. Und zwar mit diesem „Was soll ich hier“-Tonfall. Diesem kleinen Arschloch ist dieses Lied gewidmet. Er wird’s nur leider nie erfahren – weil er mit Sicherheit längst Heuschrecke in London oder New York ist.
Interview: Rupert Sommer