Deutscher Geschichtsunterricht, Nachsitzen!
Es ist ja nun schon sehr viel öffentlich über »Songs of Gastarbeiter, Vol.1« gesagt und geschrieben worden. Album der Woche hier, Leitartikel dort. Das mediale Interesse an diesem Fundschatz ist immens. Aber reden wir mal Klartext.
Wenn selbst eine Kaufempfehlung anmerkt, dass »man« nur die Hälfte der Texte verstehe, die andere sei ja Türkisch, dann möchte man sich schon wieder fremd schämen. Oder flehen: Privatdetektiv Kemal Kayankaya, bitte kommen! Wie kein Zweiter wusste der, der deutschen Perspektive einen Spiegel vorzuhalten, deren Rassismus zu entlarven. Wenn ihn sein Autor Jakob Arjouni Sätze denken und sprechen ließ wie: »Sie besuchen Ausstellungen in New York und gehen auf Safari in Afrika; sie kiffen in Kairo, essen japanisch und wollen Moskau Demokratie beibringen; sie sind international bis auf die Pariser Unterhose – aber einen Türken ohne Sperrmüll unterm Arm und zehn ungewaschenen Kindern an der Hand, das geht nicht rein in ihren Schädel.«
Ähnlich wie Kayankaya mag es oft den Autoren dieses Albums gehen. Immer wieder finden sie sich in Situationen wieder, wo sie auf ihre türkische Identität verwiesen werden, zurückgeworfen auf ihre Nicht-deutsche-Identität. Immer wieder Gesten der Ausgrenzung. Wie tief die exotisierenden Mechanismen als Selbstläufer in der deutschen Gesellschaft drin stecken, das belegt in diesem Zusammenhang allein die Tatsache, dass Türkisch noch immer nicht in den Schulen auf dem Lehrplan steht, und kaum einmal als Fremdsprache angeboten wird. Im deutschen Bildungsbürgertum gibt es kaum ein Bewusstsein über die eigenen Berührungs- und Integrationsprobleme.
Systemimmanenter Rassismus
Dementsprechend irritiert zeigt sich Bülent Kullukcu nun über das starke Interesse an der Compilation, die bewusst den Begriff »Gastarbeiter« verwendet, weil er weh tut. »Die türkischen Jugendlichen der 1970er und 1980er Jahre wussten genau was los war. Die lebten ja mit der Mode der Zeit. Aber man ließ sie eben so gut wie nirgends rein. Sie waren für die deutsche Gesellschaft nicht existent. Und jetzt wollen auf einmal alle eine deutsche Geschichte daraus machen.« In der Rückschau das Fremde integriert, musealisiert. Dass der systemimmanente Rassismus im Deutschland von heute türkische und andere Realitäten noch immer kaum wahrhaben, geschweige denn haben will, dass Deutschland von einer Klassengesellschaft geprägt ist, die einem hier geborenen Nachkommen der sogenannten Gastarbeitergeneration erst das Ausländersein schwierig, dann das Deutschsein unmöglich macht, das soll im öffentlichen Bild hingegen, wenn überhaupt, lieber der alten Bundesrepublik angehängt werden.
Wie schief dieses Bild hängt, dazu genügt die Betrachtung einer aktuell stattfindenden Diskussion, die um ein Projekt der Münchner Kammerspiele entbrannt ist. Da werden in einem öffentlichen Gesuch »südländisch« aussehende Menschen eingeladen, deutsche Theaterbesucher durch das Hauptbahnhofviertel zu führen, ganz wie in einer Menschenschau, um nicht zu sagen wie in einem Zoo. Auf die kolonialistische Perspektive musste die Theaterdirektion erst aufmerksam gemacht werden. Der Musiker, Theatermacher und Galerist Kullukcu gehört zu der Gruppe derer, die sich öffentlich empören. Darüber, dass solch eine Geste ausgerechnet von der vordergründig aufgeklärten deutschen Hochkultur kommt. Die, salopp gesagt, vergessen hat, ihre Hausaufgaben zu machen.
Der Autor Imran Ayata und Bülent Kullukcu haben also nicht zuletzt aus einem wütenden Anliegen heraus diese leidenschaftliche Sammlung vorgelegt – daher wurde an dieser Stelle statt einer Musikbesprechung ausnahmsweise soziologisiert. Die Songs auf Vol.1 machen in jedem Fall sehr großen Spaß. Da finden sich fröhliche Mitsinglieder und Mutmacher wie »Guten Morgen Mayistero« oder wir hören Verse der Unmut wie »Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an. Wir Menschen waren nicht interessant, darum blieben wir euch unbekannt.«
Skug