Nach jahrelangen Diskussionen und erfolgreicher Lobbyarbeit der großen Unterhaltungsgiganten soll es noch im September zu einer Verlängerung der Leistungsschutzrechte an Tonaufnahmen um 20, besser gar 45 Jahre, kommen. Damit gedenkt die barmherzige Riege der Musik-Majors finanziell darbende Studiomusiker aus den 50er und 60er Jahren vor der Verarmung zu retten, so die eifrig verbreite Losung. Betrachtet man die Sachlage etwas genauer, so stellt sich das Bild ganz anders dar. Laut Musikindustrie würden zahllose darbietende Künstler (im Unterschied zu den Urhebern von Werken) um ihre wohl verdienten Einnahmen gebracht, liefe die Frist für Leistungsschutzrechte wie vorgesehen nach 50 Jahren aus. Tatsächlich würden jedoch nicht arme Künstler, sondern vor allem die Majors und ein paar wenige, extrem erfolgreiche Musiker von der Verlängerung profitieren.
Nicht die ausübenden Künstler, sondern die vier Major Labels Universal, Sony BMG, Warner Music und EMI sind im Besitz fast aller Rechte, deren Schutzfrist verlängert werden soll. Sie streichen zu 72 %, das erfolgreichste Fünftel der Künstler zu weiteren 24 % alle Einnahmen aus Aufnahmen ein. Die verbleibenden 4 % verteilen sich auf 80 % der ausübenden Künstler. Diese würden in den ersten 10 Jahren nach Verlängerung selbst im einträglichsten Szenario nur 58 € zusätzlich pro Jahr erhalten, im entgegen gesetzten Szenario ganze 4 € pro Jahr.“ IRIGHTS-DOSSIER VERLÄNGERUNG DER SCHUTZFRIST FÜR TONAUFNAHMEN
Der einseitige Nutzen für die Majors wird noch dadurch verstärkt, dass die meisten Studio-Musiker vertraglich zum Verzicht auf ihre Leistungsschutzrechte verpflichtet wurden.
Die meisten Aufnahmen von vor 50 Jahren werden nicht mehr gekauft oder sind gar nicht mehr erhältlich (wegen mangelnden finanziellen Interesses der Rechteinhaber) und erzielen demzufolge auch keine nennenswerten Umsätze, abgesehen von den Cashcows der Majors wie den Beatles, Stones und Co.
„Die wenigsten Aufnahmen generieren nach 50 Jahren noch Einnahmen, nur sehr wenige sogar für mehr als 10 Jahre. Etwa 2/3 der Einnahmen der Musikindustrie werden mit Aufnahmen der letzten 4 Jahre generiert, weitere 30 % mit den Aufnahmen der 30 Jahre davor und nur noch 3 % mit älteren Aufnahmen.“ IRIGHTS-DOSSIER VERLÄNGERUNG DER SCHUTZFRIST FÜR TONAUFNAHMEN
Eine Schutzfristverlängerung würde den ungenutzten musikalischen Kulturschatz dieser Jahre unter Verschluss halten, die Wiederveröffentlichung und Verbreitung unterbinden, zum Schaden der Kultur, zum profitablen Wohle einiger weniger.
Als prominentes Beispiel gilt der Song „Twist&Shout“, komponiert von Phil Medley und Bert Russell, in der Version der Beatles. Während das Original weiterhin Urheberrechtsschutz genießt (bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers), so würde die sehr erfolgreiche Version der Beatles ab dem 31. Dezember 2015 gemeinfrei, die Rechte an dieser Aufnahme wären nicht mehr geschützt. Und das mit gutem Grund. Der temporäre Schutz der Interpreten muss in Einklang gebracht werden mit einem gesellschaftlichen Interesse an ungehindertem Zugang zu und möglichst freier Zirkulation von Kultur.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Verlängerung der Leistungsschutzrechte dient nicht den Interessen der Künstler, es geht nicht darum deren künstlerische Leistung zu schmälern oder deren Urheberrechte in Frage zu stellen, sondern darum das Einkerkern der Musik eines ganzen Jahrzehnts zum Schutz der finanziellen Interessen sehr weniger Musiker und Musikfirmen zu verhindern.
Und die Heuchelei mit der die Musikindustrie Besitzstandswahrung und Profit-Interesse mal wieder als Künstlerförderung verkauft, schadet dem Ansehen der ganzen Musikbranche, nicht nur den Majors.
„Eine klare Einordnung dieser Vorgänge hat Prof. Bernt Hugenholtz, Universität Amsterdam, anlässlich eines Vortrags in Wien 2010 vorgenommen:
Das Schutzgut von Leistungsschutzrechten ist unternehmerisch Erreichtes, nicht die moralisch oder naturrechtlich schützenswert erscheinende Kreativität. Was hier wirklich geschieht ist, dass die vier Major Labels, die über die Rechte an den großen Musikkatalogen des letzten Jahrhunderts herrschen, ihre »Kronjuwelen« schützen wollen, die erfolgreichen Aufnahmen aus den 1960er Jahren. Schützen wollen sie sie vor den Musikern selbst und den kleineren bis kleinsten Labels, für die sich ganz neue Möglichkeiten für Neuaufnahmen und Neuauflagen ergeben würden – wenn die Schutzfristen bald ablaufen würden. Diesen Investitionsschutz gibt es in vielen europäischen Ländern überhaupt erst seit den 1980er Jahren. In den Augen der Öffentlichkeit ist die jetzt geplante Schutzfristverlängerung verwandter Schutzrechte reinster Ausdruck von Gier auf Seiten weniger multinationaler Konzerne der Musikindustrie, für deren Argumentation die Studiomusiker vorgeschoben werden.“ IRIGHTS-DOSSIER VERLÄNGERUNG DER SCHUTZFRIST FÜR TONAUFNAHMEN