Eine grandiose neue CD versammelt 21 Vorläufer des Rap. Witzig, frech und total schräg.
Von Manfred Papst
NZZ am So 8.1.2012
„Vielleicht hatte der US-Entertainer Cab Calloway tatsächlich nur den Text vergessen, als er während eines Live-Auftritts im Radiostudio seinen 1929 erstmals eingespielten Hit «Minnie the Moocher» zum Besten geben sollte. Die Legende will es jedenfalls so: Calloway, sagt sie, habe in diesem Augenblick der Verlegenheit mit seiner spontanen Improvisation von launigen Reimen jenen Musikstil kreiert, den wir heute Rap nennen.
Das ist wohl eher gut erfunden als wahr, verweist aber doch auf eine wichtige Erkenntnis: Rap, der schnelle, mitunter raffiniert gereimte Sprechgesang über einem pulsierenden Beat, den wir mit der Kultur des Hip-Hop verbinden, ist keineswegs eine Entdeckung der späten 1970er Jahre. Das hat nicht zuletzt der grosse Musik-Pionier Gil Scott-Heron immer wieder betont. Schon als Cab Calloway (1907–1994), der einem breiten Publikum durch seinen splendiden Auftritt im ersten «Blues Brothers»-Film (1980) erinnerlich ist, in den 1930er Jahren den Cotton Club in Harlem zum Kochen brachte, gab es den Rap längst – als Stil, wenn auch nicht als Begriff. Er ist untrennbar verbunden mit der Ur- und Frühgeschichte der afroamerikanischen Musik, ja eines ihrer entscheidenden Ingredienzien. Darauf macht eine vorzügliche CD aufmerksam, die bei dem Münchner Label Trikont erschienen ist. Der Black-Music-Experte Jonathan Fischer hat sie zusammengestellt und liebevoll kommentiert. Sie versammelt Aufnahmen von so berühmten Leuten wie Bo Diddley, Chuck Berry und Fred Wesley, aber auch von weniger bekannten Grössen.
Fischer hat bei seiner Auswahl nicht nur auf die musikalischen Elemente des Rap geachtet. Hätte er das getan, dann hätte er auch den Gospel berücksichtigen müssen, namentlich die frühen A-cappella-Aufnahmen des Golden Gate Quartet aus den 1930er Jahren. Dort wird gerappt, dass es einem den Atem verschlägt! Aber Fischer geht es um etwas anderes: um die gleichsam weltliche Tradition des Rap. Also nicht nur um Rhythmus und Prosodie, sondern auch um eine spezifische Subkultur. Um die Inszenierungen der Sänger als Zuhälter, Junkies, Nutten, Säufer. Zum Rap gehört das Angeben, Wichtigtun, das als Sport betriebene Beleidigen des Gegners. Zum Rap gehören auch der Slang der Strasse, die Kraftausdrücke, das Verletzen von Tabus. Und zum Rap gehört eine Portion Humor. Nicht nur der salonfähige.Diese Kriterien hat Jonathan Fischer berücksichtigt. Deshalb überzeugt seine Kompilation von 21 Beispielen aus der Prähistorie des Rap – sie ist als «Part one» gekennzeichnet und lässt also auf eine Fortsetzung hoffen – nicht nur musikalisch, sondern auch textlich. Wir begegnen den schrägsten Typen und den witzigsten Texten. Vom coolen Nonsense-Vers (Andre Williams, «Pass The Biscuits Please») über die dreiste Beschimpfung (Blanche Thomas, «You Ain’t Such A Much», Cab Calloway, «The Jungle King») bis zum selbstironischen Auftrumpfen des Komikers Pigmeat Markham («Here Come’s The Judge») reicht das Spektrum. Die Reime sind so waghalsig wie lustig. Die ältesten Aufnahmen stammen aus den 1930er, die jüngsten aus den 1970er Jahren. Und sie zeigen die afroamerikanische Musik des 20. Jahrhunderts als Schmelztiegel: Talking Blues und Funk, Jive-Talk und Soul, Jazz und Rock’n’Roll finden hier zusammen. Von Chuck Berrys «Too Much Monkey Business» führt eine direkte Linie zum «Subterranean Homesick Blues» von Bob Dylan.
Einzelne von Fischers Fundstücken – so «E Pluribus Unum» (1973) von den Last Poets – zeigen, wie sehr manche Vorläufer des Rap damals schon die Nase im Wind hatten, andere zeugen von einer Gelassenheit und Selbstironie, die dem Hip-Hop seither abhanden gekommen ist. Man möchte den Turbo-Reimern von heute wünschen, dass sie sich diese Zeugnisse mit ihrer Leichtigkeit und schrägen Schärfe für ihre Zwecke zu eigen machen.“