Der indianische Folksänger vom Stamm der Mi‘kmaq starb mit 71 Jahren in Kanada. Seit 1975 gehörte er zur Trikont-Familie.
Ein Nachruf von Claus Biegert
Hi, I am Willie, sagte er. Seine Stimme war weich, dunkel, melodisch, anziehend. Er nahm gerade zwei Paar Socken und ein T-Shirt von der Leine. Kommt rein, sagte er, drin sind noch mehr Freaks, und gegessen wird auch bald. Er hatte lange schwarze Locken und trug ausgefranste Jeans, wie wir alle damals. Wir kamen gerade aus Deutschland, und er war unser erster Indianer. Wir folgten ihm ins Haus, das gleichzeitig Jugendherberge, Gemeindezentrum, Zeitungsredaktion und Großküche zu sein schien. Wenn man neu ist im Indianerland, dann muss man sich erst zu Recht finden in einer solch ungewohnten Ballung der Funktionen. Das Haus wurde Nation House genannt und stand auf dem Land der Mohawk, im Staat New York ganz oben an der Grenze zu Kanada. Das Reservat hieß offiziell St. Regis, doch diesen Namen benutzte niemand. Die Mohawk nennen diesen Teil ihres Landes am St. Lorenz-Strom bis heute Akwesasne (Wo das Rebhuhn balzt); die Zeitung die hier seit Ende der sechziger Jahre gemacht wurde, hieß Akwesasne Notes, und jetzt im heißen Indianersommer 1973, liefen, wie man damals in den vordigitalen Zeiten zu sagten pflegte, die Drähte heiß. Das American Indian Movement hatte in South Dakota den legendären Ort Wounded Knee besetzt und war von Februar bis Mai vom US-Militär umzingelt gewesen; es hatte zwei Tote auf indianischer Seite gegeben. Und nichts war seitdem mehr wie ehedem: Quer über den Kontinent wuchs der Widerstand gegen die Bevormundung durch die Regierungen, und die Akwesasne Notes sorgten als einzige panindianische Publikation für Gegeninformation und für die Verbreitung eines indigenen Gedankenguts, das sich vehement dem American Way of Life entgegen stemmte. Ich war mit Carl-Ludwig Reichert, dem bayrischen Mundart-Musiker und Radiojournalisten, in Nordamerika unterwegs, um O-Töne des indianischen Widerstands zu sammeln.
Und dann saßen wir Willie Dunn gegenüber, der gerade seinen Rucksack packte. Er wollte in den Wald, sagte er, fasten und beten und nachdenken und allein sein mit den Bäumen. See you next week! Damit war unser erster O-Ton verschwunden, bevor wir noch das Mikrophon zur Hand hatten. Niemand erwartete ihn in der nächsten Woche zurück. Er werde wieder auftauchen, wenn die Zeit dafür reif ist, sagte eine Frau. Willie Dunn war sein vollständiger Name. Er sei sehr berühmt, erzählten die Menschen am Tisch, und eine wichtige Stimme für die Ureinwohner Kanadas. So wichtig wie Buffy Sainte-Marie. Buffy war eine Cree aus dem Westen, Willie war ein Mi‘kmaq aus dem Osten. Kanada hatte in den Siebzigern nur diese zwei indianische Musiker, deren Musik man kaufen konnte und deren Lieder es in die Radiosender schafften. Eine LP wurde uns gebracht – die Akwesasne Notes fungierten auch als Versandhaus für Schallplatten und Bücher -, das farbige Cover zierte die ornamentale Darstellung eines Adlers, der Titel: Willie Dunn. Ein Plattenspieler wurde geholt. Was für eine Stimme! Sie lag – musikalisch wie geografisch – zwischen Gordon Lightfoot (Orillia, Ontario) und Leonard Cohen (Montreal, Quebec). Die Mohawks hatten ihm bereits einen neuen Namen gegeben: Roha’tiio: His voice is beautiful. Selbst wenn er in Schooldays die Foltern der Boarding Schools anklagte, war seine Stimme beautiful.
Willie Dunn wurde am 14. August 1941 in Montreal geboren und wuchs mit einem Bruder und sechs Schwestern in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater war Schotte, seine Mutter vom Stamm der Mi‘kmaq. Der weiße Vater machte, so will es das kanadische Gesetz, die Kinder automatisch zu sogenannten „Non-Status Indians“, ohne Anspruch auf Land oder soziale Dienste der Regierung. Der Indian Act von 1876 bestimmt, wer Indianer ist und wer nicht. Wer falsch heiratet, verliert seinen Indian Status. Eine indianische Frau, die einen Angehörigen ihres Stammes heiratet, dessen Vater ein Metis (Halbblut) ist – somit kein Status Indian! – verliert ihre Stammeszugehörigkeit, ihre Kinder werden nicht mehr im Stammesregister geführt.
Mit 14 bekam Willie eine Gitarre in die Hand und legte sie kaum mehr beiseite. Sein Idol war Hank Williams. Nach dem College jobbte er in einem Supermarkt, dann ging er zur Armee und kam 1960 als Mitglied der UN-Friedenstruppen in den Kongo. Eine Gitarre ließ sich immer auftreiben, doch er sang auch ohne. In den Sechziger Jahren durchquerte er als Folksänger Kanada und den Osten der USA. Einmal spielte er hinter den Kulissen des Newport Folk Festival mit Mississippi John Hurt.
Willie stammte aus einer sozialistischen Arbeiterfamilie. Immer wieder suchte er nach Brücken zwischen Sozialismus und indianischen Werten und Gesellschaftsstrukturen. Er studierte Mao Tse-Tung, „the great Chinese chief“, erkannte dessen Schwächen und kehrte immer wieder zu den Haudenosaunee – der Liga der sechs Nationen der Irokesen – zurück und ihrer Verfassung, dem Great Law of Peace. In vielen seiner Lieder schimmerte das Große Gesetz des Friedens durch. Er machte den indianischen Widerstand oft zum Inhalt seiner Songs und zögerte nie, dem Widerstand seine singende Solidarität zu erweisen. Dennoch betonte er immer wieder: I am an artist first, and an Indian second. Er wollte nicht als indianischer Künstler angeheuert werden, sondern als Künstler, dessen Kunst geschätzt wurde, ungeachtet seiner ethnischen Herkunft.
Er war nicht nur ein Singer/Songwriter. Anfang der siebziger Jahre produzierte er zwei Filme, die heute zu den Klassikern des Native American Cinema zählen. Der erste – The Ballad of Crowfoot – war Kanadas erstes Musikvideo und brachte ihm Ruhm auf internationalen Festivals, darunter den Gold Hugo auf dem 1969 Chicago International Film Festival. Der zweite – The Other Side of the Ledger – sorgte zusätzlich für Probleme: Als böses Geburtstagsgeschenk zum 300jährigen Bestehen der Hudson‘s Bay Company, jener britischen Handelsgesellschaft, die 1670 sämtliche Flüsse, die in die Hudson Bay fließen, zu ihrem Eigentum erklärte. Der Konzern beschwerte sich, und Willies Mitarbeit beim National Film Board of Canada war damit beendet, neue Projekte wurden ihm nicht mehr finanziert.
Anfang der achtziger Jahre entstand in einer transatlantischen Koproduktion mit dem Label Trikont-Unsere Stimme in München das Album „The Pacific“. Damals waren Überseetelefonate noch teuer, und das digitale Verschicken von Tönen über ein unsichtbares Netz noch fern. In diesem Album gab er beiden Kulturen seiner Eltern Raum und stellte indianische Inhalte neben Herman Melville, William Shakespeare und T. S. Eliot; in späteren Jahren kamen Samuel Johnson und W. C. Bryant hinzu. Er trat in Clubs auf, es folgten Tourneen durch Deutschland, doch er konnte seine Familie davon nicht ernähren und arbeitet nebenher als Hausmeister. Das ertrug er mit Gleichmut. Aus der indianischen Welt kam immer wieder Fanpost und die Zeitung „Ottawa Citizen“ urteilte in den achtziger Jahren, „seine Musik geht über die Wut hinaus und lässt den Wunsch zur Veränderung entstehen.“ Das bekannte indianische Duo Kashtin aus Quebec nahm Willies Song Sun of the Sun (so auch der Titel seines letzten Trikont-Albums) in ihr Erfolgsalbum Innu auf; im Beiheft sind diese Dankeszeilen zu lesen: Thank you, Willie, the Micmac India, You’ve reminded us of who we are.
Bis zuletzt galt: War irgendwo ein Konflikt im Indianerland, musste man Willie Dunn nicht lange bitten. Waren Transport und Unterkunft gesichert, war er da und gab dem Widerstand ein musikalisches Rückgrat. 2000 begleitete er zusammen mit dem irischen Sänger Liam O’Moanlai in Berlin die Preisverleihung des Nuclear-Free Future Award. Das neue Jahrtausend bescherte ihm den Titel First Nations Abassador for Canada; 2005 wurde er in den Aboriginal Walk of Honour in Edmonton aufgenommen. Die Idle no more!-Bewegung, die seit letztem Jahr die First Nations wie schon lange nicht mehr zusammenschweißt, ließ auch sein Herz höher schlagen. Bis zum Morgen des 5. August, als er im Beisein seiner Frau Liz Moore diese Welt verließ. Wir rufen ihm nach: Walk in beauty, Willie!