ERIC PFEIL solo in München am 16. Juni in der Südstadt.
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG / 9.6.15
Schönes, schiefes Leben
„Die Liebe, der Tod, die Stadt, der Fluss“ – der Musikjournalist Eric Pfeil hat sein zweites Album veröffentlicht und spielt in der Südstadt
Er sitzt in der Küche. Am Tischchen im Eck hinterm Herd hockt er mit seinem schwarzen Gewand – und bekommt von Eric Pfeil einen Kaffee eingeschenkt. Fortan ist er mit dabei in diesem Video. Beim Zähneputzen. Als Beifahrer in Pfeils kleinem, alten, roten VW Lupo. An der Tankstelle macht er sich nützlich. Im Waschsalon wartet er brav mit. Auf dem Spielplatz bubeln Eric und der Schwarze, als hätten sie noch Latzhosen an. „Wir wollen vom Leben – viel zu viel / Glück in der Liebe – und im Spiel“, singt Pfeil. Wie er am Ende seinen Kumpel zum Bus bringt, da ist das wirklich schade. Auch weil dann „Himmelwärts“, dieser rund sich drehende Pop-Song gleich vorbei ist. Vor allem aber, weil er so ein netter Buddy ist, der Tod. Aber er kommt wieder. Das ist mal sicher.
„Die Liebe, der Tod, die Stadt, der Fluss“ heißt Eric Pfeils zweites, beim Münchner Trikont-Label erschienenes Album. „Ich hab mir noch nie viel aus dem Tag gemacht“ war der Vorgänger. Im Vergleich kann man deutlich hören, dass Pfeil in seiner Rolle als Musiker gewachsen ist. Das Songwriting ist homogener, weil reduzierter, weil ideenbewusster. Die Stimme natürlicher, sich der eigenen Brüchigkeit als Mittel des Ausdrucks bewusst. Auf der Bühne steht er jetzt auch ohne Band. Mit einer kleinen portugiesischen Gitarre, die er in seiner Heimat Köln einem portugiesischen Gebrauchtgitarrenverkäufer abgekauft hat, sagt er. Eine Gitarre, bei der alle immer denken, er sei so wahnsinnig groß, „dabei ist die Gitarre so klein“. Es sei ein „Troubadour-Geist eines aus dem Gebüsch gesprungenen Sängers am Wegesrand“, den er auf der Bühne pflegt, findet Pfeil.
Er ist eben etwas später dahin gekommen, seine Musik auch öffentlich zu machen. Davor hatte er viele andere Dinge zu tun. Sehr viele Deutsche kennen Pfeils Arbeit und wissen es nicht. Lesern des Rolling Stone begegnet er aktuell als Autor der Kolumne „Pop-Tagebuch“. Pfeil ist Musikjournalist – im weitest möglichen Definitionsrahmen. Vom Ende der Neunzigerjahre an produzierte und schrieb er „Fast Foreward“, die Sendung, der Charlotte Roche bei Viva zwei ihr unvergessliches Gesicht gab und die einen daran glauben ließ, dass Pop im TV doch möglich sei. „Es waren die späten Neunziger-, frühen Nullerjahre, wo man auf der Auslaufrille dieser großen Vinylplatte tanzte und nicht wusste, dass es gleich zu Ende ist“, sagt Pfeil. Eine Woche „Fast Foreward“ produzieren, sei gewesen, als wäre man mit einer Band auf Tour. Immer am Limit der technischen Möglichkeiten. Immer auf den letzten Drücker. Heute, sagt er, fühle es sich so an, als sei es einer Version von ihm von früher passiert – oder einem engen Freund.
Charlotte Roche und er waren ein Paar. Gemeinsam haben sie die Tochter Polly. Die ist heute zwölf und singt bei zweien von Papas neuen Songs im Chor mit. Polly liebt Musik. Für Bob Dylan hat sie sich interessiert, weil Papa über den immer so lustige Geschichten erzählte. Die Beatles mag ja eh jedes Kind. Mittlerweile sei sie beim Jazz angekommen. Eigentlich steht sie ja auf englische Sachen, aber bei Papa findet Polly, dass das ganz gut funktioniert. Sagt der Papa.
Nach „Fast Foreward“ hat Pfeil „Sara Kuttner – Die Show“ entwickelt und geschrieben. Für Kuttner – „eine alte Freundin“ – schreibt er auch heute noch dann und wann. Er selber guckt nicht fern – nur Film. Aber er schreibt fürs Fernsehen. Für eine der erzählerisch ambitioniertesten Sendungen, die kaum einer als solche wahr nimmt: „Das perfekte Dinner“. Hier textet er das, was der omnipräsente, aber immer unsichtbare Sprecher Daniel zu sagen weiß. Über die fertiggedrehte Sendung legen Pfeil und andere Autoren so noch eine Erzählebene, in der Dinge passieren können, die in den meisten anderen Eckchen des TV heute undenkbar wären: „Wenn man andere Sachen fürs Fernsehen schreibt, merkt man dann doch schnell, wie tief da die Limbostange sonst hängt.“
Eric Pfeil hat nie vor der Kamera stehen wollen. „Weil das nichts mit mir zu tun hat.“ Mit seiner kleinen Gitarre und seinen Songs, da hat es jetzt etwas mit ihm zu tun. Ob mit ihm direkt oder mit einer Idee, die er von sich hat, darüber kann man mit ihm prima reden. Auf jeden Fall, kann er sich so auf die Bühne stellen. Auf dem Album ist er nicht allein. Da ist Ekki Maas von Erdmöbel als Produzent an seiner Seite. Vor allem dessen Bass. Ekki Maas knattert keine Riffs in Endlosschleife, er spiele melodiös, in der Tradition von Paul McCartney und Rick Danko, findet Pfeil. Er selbst spielt auch noch etwas Schlagzeug, klopft auf seine Schenkel oder stampft. Ein wenig Backgroundgesang. Ausgewählte, wenige Gäste, Perkussionsmomente. Reduktion. Und es beginnt zwischen den Tönen dieses Albums die Luft zu schwingen. Das schafft dieses wollwarme Gefühl, als wäre der Stoff des Albums viel dichter als er in Wirklichkeit ist.
Es ist da auch etwas in den Texten. Als man im Gespräch auf Bob Dylan kommt, sagt Pfeil, das Surreale sei bei Dylan nie Selbstzweck. Man bewundere bei ihm eben nicht nur das Bild und wisse nicht, wo einen der Song emotional lassen will. Über Dylan nachzudenken, gleichzeitig eine Schwäche für Italo-Pop zu haben und Robyn Hitchcock zu verehren – keine schlechte Mischung für das eigene kreative Programm.
In „Ein böser Fall von August“ ist einer verlassen, auf dem Dach, auf dem Rücken liegend. Im Sommer. Aber es kommt ja ein November und der Sänger weiß: „Das ist mein November, dieses Jahr.“ In „Marzipan in Michigan“ sitzt einer bei einer tiefen Flasche, während neben seinem Zimmer die Polizistentochter zu singen beginnt. Und der Sänger telegrafiert den Lieben daheim diesen Refrain: „Macht euch mal um mich hier keine Sorgen / Die Welt ist doch nur das, was du auch siehst / Marzipan in Michigan am Morgen / Und Popcorn in Paris.“ Diese Pfeil-Texte sind gerade so aus der Spur gehüpft, dass sie noch auf traurig schöne Weise davon erzählen können, dass auch das Leben in vielen Phasen aus der Spur hüpft. Am Tag, an dem Pfeils Album erschien, hätte sein Bruder Geburtstag gehabt. Fünf Wochen davor ist er gestorben. In der langen Zeit des Sterbens ist das Album entstanden. Die Musik fühlt sich sehr leicht an. Als müsse man keine Angst haben.
Von Christian Jooss-Bernau
Eric Pfeil, Dienstag, 16. Juni, 20.30 Uhr, Südstadt, Thalkirchner Straße 29 / München