Der afroamerikanische Künstler, Musiker, Autor, Regisseur und Filmemacher Melvin van Peebles im Gespräch mit Jonathan Fischer über sein neues Album, die Unruhen in Ferguson, alltäglichen Rassismus und den Fortschritt Amerikas in der SZ.
„Mich stört politische Gleichgültigkeit“
Der afroamerikanische Künstler, Musiker, Autor, Regisseur und Filmemacher Melvin van Peebles über sein neues Album, die Unruhen in Ferguson, alltäglichen Rassismus und den Fortschritt Amerikas
von Jonathan Fischer
Melvin Van Peebles gelangte 1971 mit „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“, einem radikalen Film über Rassismus, Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und einer Botschaft des Widerstands, zu Weltruhm. Es war der damals erfolgreichste Independent-Film überhaupt. Melvin Van Peebles hat in den letzten fünf Jahrzehnten Dutzende politische Theaterstücke und mehrere Romane auf Französisch und Englisch veröffentlicht, außerdem hat er Musicals und Sprechgesang-Alben eingespielt. Immer geht es um die ungeschönte Darstellung schwarzen Ghetto-Lebens zwischen Gewalt, Auflehnung und derber Erotik. Sein Sohn Mario Van Peebles hat die Geschichte seines Vaters, des Polit-Rebellen, ersten schwarzen Filmregisseurs in Hollywood und Pate des Independent-Kinos in dem Film „BAADASSSSS!“ verewigt. Die aktuellen Ereignisse in Ferguson bestätigen die Aussage in den Werken des heute 81-Jährigen. Zuletzt hat er „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ für das Theater adaptiert und ein Funk-Album mit den Heliocentrics aufgenommen.
SZ: Guten Morgen, Mr. Van Peebles! Ihr Film „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ wirkte aktueller denn je. Gut vierzig Jahre vor den aktuellen Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Justiz in Ferguson, zeigten Sie darin einen schwarzen Helden, der einen brutalen weißen Polizisten tötet, um einen „Bruder“ zu befreien, und damit auch noch davonkommt.
Melvin Van Peebles: Ich lag damals mit meiner weißen Film-Crew im Streit: Sie behaupteten, ich würde übertreiben, weiße Polizisten würden sich nicht so brutal verhalten. Aber dann kam der Fall Rodney King und nun Ferguson, wo für alle sichtbar wurde, was wir Schwarzen schon immer wussten. Es war schon immer lebensgefährlich, schwarz zu sein, und sich nicht kontrollieren zu lassen!
Ist es eine Genugtuung für Sie, wenn die schwarzen Menschen in Ferguson nun auf die Straße gehen?
Ich verstehe das. Mein Gesicht ist voller Narben. Mein Körper ist ein Zeugnis brutaler Polizeigewalt. Mit zehn Jahren habe ich die Ermordung von neun Menschen mitansehen müssen. Durch Uniformierte. Auf der Straße. Im Vergleich zu damals sind wir weit gekommen.
Sie behaupten, Amerika hätte sich trotzdem zum Guten verändert?
Vieles ist besser geworden. Wir haben einen schwarzen Präsidenten, schwarze CEOs, schwarze Filmdirektoren. Aber viele sind darüber eingeschlafen. Damals hatten die Black Panther meinen Film „Sweetback“ für ihre Mitglieder zum Pflichtbesuch gemacht. Das wiederum hat viele weiße Kids darauf neugierig gemacht. So bestand ich als schwarzer Filmdirektor darauf, „Watermelon Man“ 1970 in Hollywood zu drehen. Bis dahin gab es keine Schwarzen in den Filmgewerkschaften. Das hat für alle Zeit die Spielregeln geändert.
Die Figur des „bad nigger“ wurde später zur Inspiration für eine Flut von Blaxploitation-Filmen, die allerdings nicht mehr Freiheitskämpfer, sondern Drogendealer und Zuhälter zu schwarzen Helden stilisierten. Sehen Sie da Parallelen zur Entwicklung im Hip-Hop?
Ich höre als New Yorker auch Hip-Hop. Manche Produzenten wie Madlib spielen ganze Alben mit Samples von mir ein. Mich stört die politische Gleichgültigkeit vieler Künstler. Als ich Ende der 60er-Jahre nach Amerika zurückkehrte, hörte ich nur Songs über Partys, Gespielinnen und neue Schuhe im Radio. Also beschloss ich, ein Gegengewicht zu schaffen. Einen meiner alten Songs habe ich erst vor Kurzem auf der Straße wiedergehört. Aus dem Mund junger Menschen: „Excuse me buddy, but where can I be, naw this ain’t America, you can’t fool me, this here’s the home of the sheriff, not the land of the free . . .“ Ich hatte das 1970 geschrieben. Jetzt ist es eine der Hymnen von Occupy Wall Street.
Sie haben gerade ein Album mit den Londoner Jazz-Hipstern The Heliocentrics aufgenommen . . .
Sie wollten einen der Hip-Hop-Urväter auf ihrem Album. (lacht) Also habe ich ihnen Songskizzen nach London geschickt. Was heute Hip-Hop heißt, das habe ich schon Ende der 60er-Jahre gelebt.
Sie meinen Alben wie „Brer Soul“ oder Ihr ghettozentrisches Broadway-Musical „Ain’t Supposed To Die A Natural Death“, in denen Sie zu Jazz über Sex, Kriminelle und schwarzen Stolz rappen?
Ich meine diese ganze Do-it-yourself-Attitüde. Als der von mir engagierte Soundtrack-Komponist meines ersten Films „Watermelon Man“ nicht auftauchte, komponierte ich eben selbst. Ich schrieb Nummern auf die Tasten meines Klaviers und diktierte später Zahlen und Tempi. Genauso bei „Sweetback“. Meine Sekretärin sagte, sie kenne ein paar junge Musiker, die meine Kompositionen spielen würden.
Es war Ihre erste Aufnahme. Später wurde sie als Earth, Wind & Fire bekannt. Genauso unbekümmert haben Sie sich auch ans Filmemachen gewagt?
Ich hatte in der Army gedient, als Cable-Car-Fahrer in San Francisco gearbeitet, und ein paar Artikel in einer Zeitung veröffentlicht, als mich ein Fahrgast ansprach, der die „cinematografische Qualität“ meiner Geschichten lobte. Das brachte mich auf die Idee. Ich kaufte mir eine Kamera und zog los. 16 oder 35 mm? Nie gehört. Aber ob Filme, Kunst, Bücher oder Musik: Ich produziere alles genauso wie ichkoche. Rein kommt nur, was mir schmeckt.
Sie verkaufen sich gerne als vom Himmel gefallenes Genie, haben aber doch mal in den 50er-Jahren am Chicago Art Institute studiert.
Ach, kommen Sie! Die wichtigen Dinge im Leben lernte ich in der Southside von Chicago, damals das gefürchtetste Ghetto Amerikas. Ich führte schon als Zehnjähriger den Schneiderladen meines Vaters. Ich wusste, wie die Geschäfte laufen.
Sie haben außerdem Astronomie studiert, in Paris als Journalist gearbeitet, Romane auf Französisch geschrieben, Filme, Theaterstücke und Musikalben aufgenommen. Der Kulturkritiker Nelson George nannte sie „das Paradebeispiel eines amerikanischen Künstlers, der nie aufhört, seine Grenzen – und die der anderen – auszudehnen.“
Ich haben meinen Preis dafür gezahlt. Und nicht immer in Daunendecken geschlafen. Hollywood zeigt mir die kalte Schulter, als ich mich dort mit meinen Kurzfilmen vorstellte. Aber später lud mich der Direktor der staatlichen Cinemathek in Paris zu einer Vorführung ein. Viel Ehre, aber kein Geld. Also schlug ich mich als Straßensänger in Frankreich durch und stopfte mir die Hosen mit Papier aus, um nachts nicht auf der Parkbank zu erfrieren.
Nachdem Ihr erster längerer Film „The Story Of A Three-Day Pass“ ein Festival in San Francisco gewann, haben Sie dann doch noch Hollywood erobert.
Ich unterschrieb einen Vertrag bei Columbia. Trotzdem bin ich immer unabhängig geblieben. Nur so konnte ich radikale Projekte wie „Sweetback“ verwirklichen. Ich finanzierte damals alles selbst und behauptete gegenüber Hollywood, ich würde einen Porno drehen – das war das einzige Genre, in der sie dir freie Hand ließen.
Ihre Low-Budget-Methode ist sehr erfolgreich gewesen: „Sweetback“ brach als Independent-Film alle Kassenrekorde, provozierte – und ebnete Afroamerikanern den Weg nach Hollywood. Die New York Times nannte Sie „den ersten Schwarzen im Showbusiness, der die Weißen in ihrem eigenen Spiel schlug“.
Am Anfang wollten nur zwei Kinos den Film zeigen. Aber dann standen die Leute mehrere Blocks lang Schlange, und immer mehr Lichtspielbetreiber wollten eine Kopie. Ich machte Werbung für den Film, indem ich T-Shirts drucken ließ „Rated X by an all-white jury“. Das klang reißerisch. In Wirklichkeit gab es das X automatisch für alle Filme, die nicht dem Board vorgelegt wurden. Danach wollte Hollywood nichts mehr mit mir zu tun haben.
Trotz Ihres Vertrags über drei Filme?
Sie fürchteten mich.
Vielleicht auch weil Sie mit gewagten Sex-Szenen die „In yo face“-Attitüde von Hip-Hop vorweggenommen haben?
Sex ist eine Waffe. Es dir gut gehen zu lassen, das bedeutet, dem Unterdrücker und seiner Vorstellung von deinem Platz im Leben, ein Schnippchen zu schlagen. Davon handelt „Sweetback“. So habe ich es selbst immer gehalten.
Steckt auch eine politische Botschaft in Ihrem neuen Album?
Nein, nein, bei mir ist es immer handfest. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente ich in einem der ersten geheimen Langstreckenbomber Amerikas. Einen Einsatz habe ich nur knapp überlebt. Seitdem weiß ich: Das Leben ist ein wunderbares Geschenk.
Text mit freundlicher Genehmigung von Jonathan Fischer, der Süddeutschen Zeitung München und der DIZ München GmbH.
Der Autor Jonathan Fischer ist Herausgeber & Compiler der TRIKONT Edition „BLACK RADICAL MUSIC“ mit bereits über zehn Veröffentlichungen.
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